
Snackable vs. substanziell? Unsere Inhalte werden weniger

Snackable oder substanziell? Wie wir unsere Inhalte selbst verkleinern
Wer heute Inhalte erstellt, steht unter Druck: kurz, knackig, klickstark soll es sein. „Snackable Content“ nennt sich das – Inhalte, die sich schnell konsumieren lassen und unterwegs nicht schwer im Magen liegen. Doch was, wenn wir uns an diesem Prinzip selbst verkleinern? Wenn wir anfangen, unsere Inhalte nicht nur zu kürzen, sondern zu kappen – an den Stellen, wo es eigentlich interessant wird?
Ein Plädoyer für mehr Substanz – und eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Frage, was wir gewinnen, wenn wir bereit sind, mehr zu erzählen.
Weniger ist nicht immer mehr
Die Devise „In der Kürze liegt die Würze“ funktioniert – bis zu dem Punkt, an dem das Gericht nur noch aus Salz besteht. Natürlich haben Social-Media-Algorithmen, Newsletter-Formate und mobile Nutzungsgewohnheiten unsere Aufmerksamkeitsspanne verändert. Aber Aufmerksamkeit ist kein Naturgesetz, sondern ein Ergebnis von Relevanz. Menschen bleiben bei Inhalten hängen, wenn sie etwas darin entdecken, was über die bloße Information hinausgeht: Haltung, Kontext, neue Perspektiven. Wir machen nicht alles besser, nur weil wir es kürzer machen.
Warum „leicht konsumierbar“ nicht mit „leicht verständlich“ gleichzusetzen ist
Snackable Content lebt von Vereinfachung. Das ist per se nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Gute Kommunikation ist oft die Kunst, Komplexes verständlich zu machen. Doch zwischen verständlich machen und vereinfachen liegt ein Unterschied: Letzteres entfernt oft das, was zum Verstehen notwendig wäre. Zusammenhänge, Zwischentöne, Zweifel. Gerade in Bereichen wie Technologie, Medizin oder gesellschaftlichem Wandel werden Leser nicht durch kurze Texte abgeholt, sondern durch kluge.
Wenn Formate Inhalte formen – und nicht umgekehrt
Viele Kommunikationsverantwortliche beginnen ihre Arbeit heute mit der Frage: Wie viele Zeichen haben wir? Statt: Was wollen wir sagen? Das ist fatal. Denn wer den Rahmen vor der Idee definiert, bestimmt automatisch mit, was gesagt werden darf – und was nicht reinpasst. Nicht jede Story lässt sich in drei Bulletpoints pressen. Nicht jede Argumentation funktioniert im Hochkantvideo. Und nicht jede Zielgruppe will nur scrollen, sondern manchmal auch nachdenken. Ganz abgesehen davon, dass wir uns damit selbst die Möglichkeit nehmen, zu denken.
Die verlorenen Zwischentöne und was das mit unserem Denken macht
Immer kürzere Aufmerksamkeitsspannen, immer mehr, was die KI übernimmt, heißt auch: Wir verlernen, Entscheidungen zu treffen. Wir werden nicht mehr gefordert. Und wenn wir nicht mehr gefordert werden, stumpfen wir ab. Wir verblöden – nicht schlagartig, aber schleichend.
In der Reduktion verlieren wir oft genau das, was unsere Inhalte relevant macht: Kontext. Warum ist etwas so? Was bedeutet das? Welche Widersprüche gibt es? Das ist ein Problem für den Diskurs und unser Gehirn. Denn unsere Fähigkeit, Informationen einzuordnen, lebt von Differenzierung. Wenn wir nur noch in Headlines denken, verlernen wir, Zusammenhänge zu erkennen. Wenn alles in ein paar Sekunden verstanden sein muss, verlernen wir, genauer hinzusehen.
Wer ständig nur Inputs empfängt, aber keine Zeit mehr hat, sie zu verarbeiten, trainiert das eigene Denken ab. Wir überfordern unsere kognitive Aufnahme und gleichzeitig unterfordern wir uns intellektuell. KI-generierte Vorschläge, automatisierte Zusammenfassungen, immer kürzere Formate: Das alles entlastet uns, aber es fordert uns auch immer weniger. Und das ist gefährlich.
Denn Denken ist wie ein Muskel. Wird er nicht genutzt, verkümmert er. Wer sich nicht mehr mit Widersprüchen auseinandersetzen muss, verliert die Fähigkeit, sie auszuhalten. Wer ständig nur vorgekaute Inhalte serviert bekommt, verlernt, eigene Schlüsse zu ziehen. Echte Wirkung entsteht dort, wo Inhalte nicht nur informieren, sondern einordnen.
Kommunikation ohne Tiefgang schadet der Marke
Und das betrifft nicht nur uns als Gesellschaft oder Einzelne, sondern auch Unternehmen. Wer komplexe Produkte oder Dienstleistungen anbietet, aber seine Kommunikation nur noch auf oberflächliche Claims, Trends und Floskeln zuschneidet, riskiert, nicht mehr ernst genommen zu werden. Kunden, Partner und Fachöffentlichkeit merken sehr genau, ob ein Unternehmen nur mitredet oder wirklich etwas zu sagen hat. Und gerade jetzt, wo massenhaft KI Inhalte ausgespuckt werden, wird die Qualität der Kommunikation zum Unterscheidungsmerkmal.
Marken, die mutig differenzieren, die Nuancen zulassen, die einordnen statt zu glätten, gewinnen langfristig Vertrauen, weil sie Orientierung bieten. Wer sich hingegen in der Vereinfachung verliert, verliert am Ende nicht nur Tiefe, sondern auch Glaubwürdigkeit.
Fazit: Lesbar ist gut. Lesenswert ist besser.
Wir müssen nicht zurück zu Bleiwüsten und 2.000-Wörter-Epen. Aber wir dürfen uns fragen, ob wir uns gerade selbst so sehr auf Formatierbarkeit trimmen, dass nichts mehr hängen bleibt. Vielleicht ist genau das der Aha-Moment: Nicht alles muss kürzer. Aber alles sollte klarer. Und manchmal braucht Klarheit eben Platz.